Tuesday, May 16, 2006

Body does not mean homeland

Von einem Bekannten angesprochen, ob ich nicht mit eigenen Texten an Lesungen zu bestimmten Themen teilnehmen möchte, konnte ich ganz klar verneinen. Auch ihm antwortete ich auf diese Frage, wie ich es schon manch anderem in Zusammenhängen meiner Person und Öffentlichkeit erklärt hatte, das ich schon in der Schule lieber eine Sechs in Kauf genommen hätte als mich für ein Referat vor die Klasse zu stellen.
Doch bei der Nennung der Themen fiel mir eines besonders auf, das mich seit ein paar Jahren auf einer unterbewussten Ebene beschäftigte – das Thema Heimat.
Ich beschloss, trotzdem ich von einem Auftritt nach wie vor absehe, meinen Gedanken endlich eine Struktur zu geben. Leichter gesagt als getan, denn so umfassend das Thema ist, so wirr waren und sind meine bisherigen Ansätze. Ich scheine meinen eigenen Gedanken nicht den nötigen Raum verschaffen zu können, um ihnen zu folgen, doch etwas kristallisierte sich heraus – mein Körper war mir bisher nie eine Heimat.

Mein Körper war tatsächlich noch nie mein Zuhause. Noch nie hat er mir, meinem Geist und meiner Seele ein adäquates Heim geboten. Stattdessen war er oft der Verursacher von seelischem und leiblichem Schmerz, ein Quell der Qual, eine Last und dies nicht nur im Sinne einer Waage.
Schon im Mutterleib weigerte ich mich, meine eigene Dinglichkeit anzuerkennen und zögerte den Moment so lang hinaus bis rohe Kräfte auf Geheiß meiner Erzeugerin verhinderten, das ich auf eine Ebene mit Gottes Sohn gestellt werden würde und sei es nur durch den gemeinsamen Geburtstag.
Auch wenn im allgemeinen der Witz kursiert, ich könne mich noch an meine Geburt erinnern, kann ich nicht sagen, in welchem Verhältnis mein Körper und ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr standen. Ich denke er nutzte mir, diente mir im besten Sinne, um durch die Felder zu streichen, Staudämme an kleinen Flussläufen zu bauen und auf dem Klettergerüst des Kindergartens meinen Spaß zu haben. Ich lernte Fahrradfahren, doch, daran erinnere ich mich noch genau und auch an die Stürze, die dem Können vorausgingen. Ich denke, das Leib und Seele sich noch einigermaßen im Einklang befanden auch wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt schon merkwürdig fand und mir selbst genug war.
Spätestens mit der Schulzeit endete dieses funktionierende Verhältnis. Schulsport und bestimmte Unfähigkeiten, wie zum Beispiel mir die Schuhe zuzubinden, trafen nun auf die Projektionsfläche einer ganzen Gruppe, welche in aller Unbarmherzigkeit in mir eines ihrer schwächsten Glieder ausmachte und entsprechend versuchte, dieses auszusondern. Es gelang, doch fairer weise muss ich sagen, das ich mich durch Allüren lieber gleich selbst ins Abseits stellte. Die Antwort auf diese Art von Frustration war Essen. Ich kam lieber zu spät zur Schule und deckte mich mit Süßigkeiten im schulnahen Tante-Emma-Laden ein, als das ich verzichtete und so weniger auffiel. Als meine Eltern spitz bekamen, das ich unverhältnismäßig viel Ungesundes konsumierte, begannen sie, die Süßigkeiten zu verstecken. Es nützte nichts, denn ich legte eine Verbissenheit bei der Suche nach Verstecken und Schlüsseln an den Tag, die man sich beim Schuhe binden gewünscht hätte.
Aus all dem folgerte ich schon früh, das ich körperlich nicht in diese Welt passte, zu dick sei für sie und so meinen Platz nicht mehr in ihr finden würde.
Auch der Umzug nach Hamburg änderte nichts daran. Im Gegenteil, denn die Beschimpfungen der Hamburger Grundschüler standen denen der Achtklässler der angeschlossenen Realschule in der Kleinstadt, in nichts nach.
Schon immer tendenziell überfordert mit der Ansammlung mehrerer Menschen, fiel es mir entsprechend schwer, in einem solch rauen Umfeld, Fuß zu fassen. Meine Schwester, selbstbewusst, unkompliziert und anpassungsfähig, lernte am ersten Tag alle nötigen Schimpfwörter und das damit verbundene Sesam-Öffne-Dich, während ich noch überrollt von allem Neuen das Gefühl hatte, das ich, fett wie ich war, eh nicht be(ge-)liebt werden könnte.
Vor einigen Jahren entdeckte ich die, zum Zeitpunkt der Entdeckung ca. 20 Jahre alten Klassenfotos und Einzelportraits aus der vierten Klasse und war ehrlich erstaunt, das ich weder fett noch hässlich war. Im Gegenteil, ich wirkte wie ein nettes, freundliches Mädchen, mit dem man Spaß haben konnte.

Im Gymnasium sollte die Selbsteinschätzung durch entsprechende Hänseleien noch weiter verinnerlicht werden, denn Konfektionsgröße 36 hatte ich tatsächlich nie und eine satte, schlecht zu versteckende Oberweite sorgte für den Rest. Im Schulsport kam ich mir entsprechend wie ein Elefant vor, mochte mich ob der Peinlichkeit nicht engagieren und wurde, der Klassiker, natürlich immer als eine der letzten in eine Mannschaft gewählt. Die Pubertät machte mir meinen Körper nicht fremder, denn noch fremder konnte er mir schon nicht mehr sein. Für zwei Wochen, nachdem ich mir bei einer selbsterwählten Kur gerade mal sieben Kilo heruntergehungert hatte, bekam ich die Anerkennung, nach der ich mich sehnte. Ich wog auf die Größe von 1.60m statt 65 Kilo nur noch 58 Kilo. Unglaublich, wie sieben Kilo alles verändern konnten. Das Vergnügen war nach zwei Wochen vorbei. Jeder weiß wie einfach rauf und wie schwer runter in diesem Fall ist. Nach zwei Wochen war ich zurück in meinem Selbstentfremdungsnirvana, doch statt mich wieder um die sieben Kilo zu bemühen, interpretierte ich die Erfahrung als das was sie war – Schein ist Sein. Doch ich wollte einfach nur Sein.
Meine zwei Jahre jüngere Schwester hatte sich inzwischen zu einer blonden, langbeinigen Gazelle entwickelt und die Jungs, mit mir gut befreundet, verknallten sich reihenweise in sie. Auch nicht die Botschaft, die es mir ermöglichte, mit meinem Körper Frieden zu schließen.
Meine erste Liebe schaffte es zumindest für einen Moment, das ich mich wohl fühlte in meiner Haut. Für ihn war ich schön und niemals hat er es an Äußerlichkeiten fest gemacht. Er sah mich, wie ich mich sehen konnte – wollte. Er gab mir die Erkenntnis mit auf den Weg, das ich um meiner Selbst willen geliebt werden konnte. Ich fühlte mich dadurch nicht schlanker und mein Körper wurde mir deswegen auch nicht mehr zu einem Zuhause, aber er verlor vorläufig die Wichtigkeit, die ich ihm bis dahin eingeräumt hatte.
Zwei Jahre später hatte ich noch einmal das Glück, einem solchen Menschen zu begegnen und ich tat alles dafür, das er nicht wieder gehen wollte. Bisher ist mir das gelungen, auch wenn ich es in meinen frühen Zwanzigern schaffte in einer Art Selffullfilling-Prophecy meinen Stoffwechsel soweit zu ruinieren, das der Körper endlich zur Selbsteinschätzung passte. Ich wurde so fett, wie ich mich bis dahin immer gefühlt hatte – und mir selbst noch fremder.
Nein, eine Heimat war mir dieser Körper nie – eher ein immerwährend zu bekämpfender Feind - als ob der Kopf und die Seele je ohne den Muskel Herz funktionieren könnten.

Wednesday, May 03, 2006

Darf ich mal bitte?

Es ist ja immer so eine Sache mit dem Aufstehen während der Vorstellung in Kino, Oper, Theater, Konzert oder der Sportveranstaltung. Auch im Flugzeug oder im Reisebus scheut man sich, dem Sitznachbarn sein Hinterteil oder seine vordere, untere Gürtellinie ins Gesicht zu strecken, sofern dies nicht absolut notwendig ist.
Wird es doch notwendig, wird der Vorgang für die meisten zu einer Odyssee von ungewollten Berührungen und Einblicken, deren Peinlichkeit man mit „Darf ich mal bitte?“ oder „Entschuldigung, könnte ich mal...“ versucht zu überspielen.
Schon für normal gebaute Menschen mit einem gesunden Sinn für die Ein-Meter-Regel ist diese Art des Aufeinanderhockens nicht immer gut zu ertragen. Ausdünstungen, Geräusche, Geschwätzigkeit, ungefragte Kommentare, der Kampf um die Armlehne oder einfach eine schlechte zwischenmenschliche Chemie lassen manchen Sitznachbarn wenig sympathisch erscheinen.
Je nach Verweildauer von zweistündiger Kinovorstellung bis zum Langstreckenflug ist man trotzdem immer wieder gezwungen, Kontakt aufzunehmen, um seinen Bedürfnissen über das Sitzen hinaus Raum zu geben.
Für nicht normal gebaute Menschen, man könnte sie auch je nach Grad des Übergewichts als dick oder fett bezeichnen, ist dieser Moment besonders heikel. Hat man nicht gerade den Prominentenbonus eines Ottfried Fischer, wird meist mit hochgezogener Augenbraue oder anderen Ausdruckmitteln des Entnervtseins reagiert. Auch ist der häufig nicht zu vermeidende Tritt auf den Fuß des anderen im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegender als bei einem Normalgewichtigen. Oft reicht es nicht, einfach die Knie ein wenig zur Seite zu schieben, um den nötigen Durchgangsplatz zu schaffen. Steht man jedoch auf, kommt aus den hinteren Reihen augenblicklich meuterndes Geraune bis hin zu patzigem „Hinsetzen!“. Die daraufhin Angeraunten, drehen sich zu den hinteren Reihen um, zucken die Achseln und weisen mehr oder weniger verstohlen auf den wahren Verursacher.

In vollem Bewusstsein all dessen fällt es mir manchmal schwer, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Zum Beispiel liegen mir ausverkaufte Veranstaltungen nicht sehr, da ich das Gefühl habe, das eh schon volle Schiff zum kentern zu bringen. Dicht an dicht mit Menschen und in meinem Fall dichter an noch dichter, da ich in meinem Sitz keine Rückzugsreserven mehr habe, trägt zum allgemeinen Unwohlsein in meiner Gegenwart bei. Ich spüre, wie das nicht nur mir sondern auch meinem Nachbarn so geht. In solchen Momenten fühle ich mich so präsent als hätte man einen Scheinwerfer auf mich gerichtet und so raumfüllend wie der Korken in der Flasche. Daher sehe ich die guten Filme meist in der kaum besuchten Nachmittagsvorstellung oder erst auf DVD.
Auch zähle ich die Mitfahrenden in einem Fahrstuhl, achte auf das Schild, auf welchem die zugelassene Nutzlast und die entsprechenden Personenanzahl vermerkt ist, kalkuliere mich mal zwei und steige im Zweifelsfall wieder aus, um entweder zu Fuß zu gehen (welches der gesunde Weg ist) oder auf den nächsten Lift zu warten.
Fliegen ist zur Zeit überhaupt kein Thema, da ich von der Fluggesellschaft verpflichtet werden würde, zwei Sitze zu buchen, was gerade in diesem Jahr dazu geführt hat, das zwei liebe Menschen ohne mich nach London fliegen werden. (Na gut, meine ausgeprägte Beziehung zu festem Boden unter meinen Füssen spielt auch eine gewisse Rolle.)
Auf den Toiletten einiger Gaststätten und Veranstaltungsorte dürften schon normalgewichtige an ihre räumlichen Grenzen stoßen, doch ich kann mich noch freuen, wenn ich die Tür schließen kann ohne schon auf dem Klobecken stehen zu müssen.
Hotelbadezimmer, von der Kunst auf kleinstem Raum möglichst viel Komfort zu erzielen, geprägt, lösen in mir klaustrophobische Zustände im Duschbereich aus, da der Architekt in diesem weder den langen noch den breiten Menschen einkalkuliert hat. Und zu welcher Kategorie ich gehöre, denke ich, ist klar.
Stühle mit Armlehnen, von mir früher sehr geschätzt, lassen mich heute zurückschrecken. Werde ich hineinpassen? Bänke relativieren diese Problematik einigermaßen, aber nun sitze ich wieder Po an Po mit dem Banknachbarn, fühle mich wie ein Berg neben ihm und beanspruche mehr Raum als mir und ihm lieb ist.
Stühle ohne Armlehne sind komfortabel und meist ausreichend für mich, jedoch, sofern sie nicht über eine entsprechende Rückenlehnenhöhe verfügen, begrabe ich sie regelrecht unter mir und von ihrer Optik bleibt nicht viel, sofern man nicht gerade hinter mir steht. Ebenso ist im Kino der Platz am Gang die Lösung und die Treppe statt des Fahrstuhls, sofern ich nicht gerade in das fünfte oder ein noch höheres Stockwerk muss.
Fliegen bleibt fürs erste gestrichen und Zugfahren kann eine, wenn auch inzwischen teurere Lösung sein, so denn es nicht nach Übersee geht. Aber wann geht es das schon?

Es scheint, das ich viel Platz in dieser Welt beanspruche.

Sunday, March 12, 2006

Fette Vorurteile

Nicht erst seit Marius Müller-Westernhagen wissen wir, das Dicke schwitzen, keine Luft bekommen und, zumindest für ihn, offensichtlich schwer zu ertragen sind.
Dicke lachen auch zu laut, sind undiszipliniert, essen permanent, sind bequem, faul, überfürsorglich, emotional, aggressiv, sind extrem sozial oder gar nicht und verfügen entweder über zuviel oder zuwenig Selbstbewusstsein, in jedem Fall aber über kein Maß.

Sie sind die, die jeder an seiner Seite haben will, wenn er etwas braucht.
Schwieriger wird es schon, wenn es darum geht, dem Dicken etwas zu geben.
Wozu sollte ihm Respekt entgegengebracht werden, warum sollte er diskretere Blicke erwarten statt des offensichtlichen Anstarrens oder Schweigen statt des einen Gedanke, der wie „aus Versehen“ in Hörweite fallengelassen werden muss?
Er will es doch nicht anders – er schreit es uns doch förmlich ins Gesicht, mit seinem dreifach Kinn, seinem Watschelgang, seiner ächzenden Atmung:
Ich bin fett! Macht mit mir was ihr wollt.

Ein Paradoxon des Dickseins liegt darin, das der Dicke als solches oft von zwei Wünschen getrieben wird - sich zu schützen und nicht sichtbar zu sein.
Natürlich macht er sich aber mit seinem „dicken Fell“ alles andere als Unsichtbar und dadurch letztendlich auch Angreifbar.
Die meisten werden nicht seit ihrer Geburt zu dick gewesen sein, bei manchen liegt tatsächlich eine genetische Disposition oder eine Krankheit vor, bei anderen jedoch vielleicht charakterbedingte Trägheit oder sie mussten einfach nur eine Schicht zwischen sich und der Welt schaffen, die ihnen zu bedrohlich oder zu schnell erschien. Auch die Gleichsetzung von Nahrung, Fürsorge und sich lieben ist eine immer währende Falle.
So vielfältig die Gründe sind, die zum Dicksein führen, so vielfältig ist auch der Dicke an sich.
Einige verkriechen sich, andere schmücken sich, manche suchen sich eine Welt der Gleichgesinnten und manche machen nicht viel Aufhebens darum.
Diese wollen reden, jene wünschten sich, es würde geschwiegen werden.
Manche rufen, „Jetzt erst recht!“ und andere fragen „Warum nur ich?“, dritte sagen „Es ist eben wie es ist.“

Jeder Dicke hat seine eigene Geschichte, seine Gründe zu leben und zu erleben, wie alle anderen Menschen auch.
Sicher kann man im Gegensatz zu blauen Augen etwas gegen das Dicksein machen, aber nicht jeder will es, nicht jeder kann es, nicht jeder schafft es.

Diese Art, einen Fehler deutlich zur Schau zu tragen, scheint für viele jedoch unerträglich zu sein, gemahnt es sie doch, nicht dem Genuss auf den Leim zu gehen und der Sinnlichkeit zu entsagen.
Vor allem jedoch scheint es sie ihre gute Kinderstube vergessen zu lassen. Selten wird von Menschen auf jemanden mit soviel Unhöflichkeit, Respektlosigkeit oder offenem Hass reagiert, wie auf Dicke.

Es wäre falsch von mir, an dieser Stelle zu sagen, das sich diese Menschen viel an Lebensqualität nehmen, aus Angst die Kontrolle zu verlieren und sich entsprechend verhalten, denn auch das wäre nur ein Vorurteil. Lebensqualität wird schließlich von uns selbst definiert und nicht jeder schätzt ein gutes Essen höher ein als Bewegungsfreiheit.

Aber eines kann ich mit Bestimmtheit sagen: Anspruch auf gutes Benehmen und eine respektvolle Behandlung hat jeder, ob er dick ist, ihm ein Arm fehlt oder ob er an Vollkommenheit leidet.
Sich ob eines körperlichen Mangels über einen anderen zu erheben ist billig, eitel und, ehrlich gesagt, zeugt es, für meine Begriffe, nicht sonderlich von Intelligenz. Dies gilt sowohl für den „Normalen“, der sich lustig macht als auch den „Beschädigten“, der meint, auf Grund seiner Andersartigkeit etwas Besseres zu sein.

Wenn wir alle mehr Energie in den guten Umgang miteinander fließen lassen würden, würde es vielleicht auch nicht mehr ganz so viele Dicke geben, denn dann könnten auch diese sich, und nur sich, im Spiegel sehen.

Was mich angeht – ich habe schon immer zu laut gelacht.

Thursday, February 23, 2006

Knigge

Es werden Kekse zum Tee gereicht.
Sie: „Sie naschen aber auch gerne, nicht wahr?“
Ich : „Och....“
Sie: „ Na, ich kenne das ja auch. Ich hab im Auto auch schon eine dreiviertel Tafel verputzt. Wer es kann. Früher war das kein Problem für mich, aber heute....Im letzten Jahr wog ich noch vierundfünfzig Kilo und heute? Was glauben sie? Eiiiiinundsechzig Kilo!!! Aber na ja, es gibt Schlimmere.“
Kurzes Schweigen.
Sie: „Man muss halt viel trinken. Wenn man das schafft, hat man gar kein Hungergefühl mehr, der Magen ist immer voll “
Ich: „Ich trinke drei Liter am Tag.“
Sie: „Ach, das schaffen sie? Zuhause schaffe ich das auch, aber dann muss ich ständig auf die Toilette und außerdem bin ich ja ständig unterwegs.“
Schweigen. Seitenblick auf mich.
Sie: „Aber Figur ist ja auch nicht alles. Wichtig ist ja, das man sich wohlfühlt so wie man ist. Das man das Leben lebt, so wie man es möchte, nicht wahr?“

„Sie“ macht es sich in Kursen zur Aufgabe, Kindern das richtige Benehmen beizubringen.

Friday, February 17, 2006

Jede(r) hat eine Cynthia*.

Frauen, Menschen, wir alle machen es uns nicht leicht.
Gerade das weibliche Geschlecht scheint zwei herausragende Eigenschaften zu besitzen:
Das nie Zufrieden sein und das Vergleichen.

Beide Eigenschaften unabhängig voneinander machen uns das Leben schon nicht leicht, aber vereinigt und komprimiert auf das Thema Pfunde durchlebt jede Frau immer wieder ihren persönlichen Albtraum.

Mein Albtraum (in dieser Hinsicht) heißt Cynthia*.
Cynthia hat für mein Empfinden die perfekte Figur. Ordentliche Rundungen an den richtigen Stellen, einen recht flachen Bauch und ich vermute mal Konfektionsgröße 38/40, aber absolut leckere 38/40.
Sie selbst glaubt, das ihr Anblick, ihre „Massen“, schwer zu ertragen sind und hüllt sich entsprechend in weite Pullover und große Jacken, die ihre Figur kartoffelsackartig verhüllen statt stolz zu zeigen, was sie hat.
Wird es zu warm und sie sieht sich gezwungen, den Kartoffelsack abzulegen, geht dies nie ohne entsprechende Kommentare in der Art von:“ Entschuldigt, aber den Anblick kann ich euch jetzt nicht ersparen“ vonstatten. In diesem Moment starrt natürlich erst recht jeder hin, um zu verstehen was sie meint und aus dem Kartoffelsack schält sich eine unglaubliche Figur heraus.
Glücklicherweise wird dieser Vorgang in den seltensten Momenten kommentiert, aber unterschwellig fühlt man gerade unter den Frauen der Gruppe eine Stimmung, die ein Mix aus Entrüstung, Beleidigung und Neid ist.
Für mich persönlich ist dieser Vorgang jedes mal wieder schwer zu ertragen, denn natürlich schaue ich an mir herunter und denke: „Was soll ich denn sagen?!“ (Vergleich!)
Dabei kann ich natürlich nur verlieren, denn zwischen uns dürften mindestens 50 kg liegen und fühle mich entsprechend schlecht. (ja, ich oute mich – wer rechnen will soll dies nun tun, aber das Ergebnis ist von meiner Seite aus gesehen nur ein Schätzwert und somit nicht amtlich)

Aber auch Frauen, deren Konfektionsgrößen nicht so weit auseinander liegen tun sich genau dies an. Sie sitzen zusammen und stöhnen ob ihrer „fetten“ Oberarme, ob ihres „Pferdearsches“, ob ihrer „Ringerschenkel“, ob ihrer...... - glaubt mir, ich könnte unendlich weitermachen, denn ich bin sicher, das manch eine Frau aus Verzweiflung sogar ihre Schamlippen als zu dick empfindet.
Die andere Frau sitzt dabei, versteht das Gejammer nicht und fühlt sich in ihren Unzulänglichkeiten nicht nur bestätigt, nein, auch noch bestärkt, denn wenn die schon meckert....

Aber werte Damen, wie mein Vater schon zu sagen pflegte: „Es gibt immer noch eine Frau, die ist viel dicker.“ Und auch wenn er dies sicher eher metaphorisch meint so ist es doch so – wir alle haben unsere Cynthia, aber wir sind auch alle jemandes Cynthia und jammern auf hohem Niveau.

*Name von der Redaktion geändert

Thursday, January 12, 2006

Ist geteiltes Leid halbes Leid?

Vor einigen Tagen durfte ich feststellen, das ich nicht die einzige war, die von den Silvesterbildern in die Knie gezwungen worden war und nun am Boden lag und haderte.

Während ich jedoch noch immer am Boden liege und in den Himmel voller schmaler Taillen starre, standen die anderen nach nicht allzu langer Zeit auf und verfielen in Aktionismus.
Claudi, am Wochenende zu Besuch, macht gerade eine Knäckebrot-Obst-Diät und Ingo versucht es mit Trennkost. Ihr geht es um eine Hosengröße und er möchte einfach nur wieder in schicke Klamotten passen.
Und ich?
Das es generell bei mir nicht nur um eine Hosengröße gehen kann, ist, denke ich, jedem klar, aber nach langen Gesprächen unter Frauen kam mir der Gedanke, das eine Hosengröße weniger ein tolles Gefühl wäre, auch wenn das langfristig nicht alles sein kann.
Die berühmten Babyschritte.
Der Gedanke liegt nun bereits vier Tage zurück, doch noch immer kein Aktionismus meinerseits.
Ich bin mehr der langsame Typ: Sacken lassen, Wege finden, Nachdenken und wenn das Gefühl stimmt, lege ich los.
Jetzt denkt der geneigte Leser sicher, das ich mich bei der Einstellung nicht wundern soll.
Tu ich auch nicht und wie lahmarschig das klingt, ist mir selbst klar.

Claudis neue Bibel ist „Moppel-Ich“ von Susanne Fröhlich.
Von mir bisher als eines dieser unerträglichen Selbsterfahrungsbücher gemieden, mussten wir zwei oft sehr lachen oder eifrig nicken, wenn sie aus dem Buch zitierte.
Sie liest es mit Janne zusammen, der sie so liebt, wie sie ist, jedoch ihre Art sich selbst nicht zu mögen weder nachvollziehen kann noch möchte.
Für ihn könnte sie 500 kg wiegen. Wäre sie so wie sie jetzt ist, sie wäre noch immer die Frau.
Ein wunderbarer Zug, doch wissen wir alle, das 500 kg ein Kündigungsgrund sind und sie sicher nicht mehr sie wäre, denn allein ihre Spontaneität, ihre Flexibilität und der Spaß, den sie beim Partymachen hat, wären auf Grund der Physiologie begrenzt.

Auch mein Angeliebter hatte ja keine Ahnung, bis ich ihm meinen Blog zu diesem Thema zeigte. Nach der Lektüre von „Start up“ wurde er sehr still und ziemlich blass um die Nase.
Zum einen, das war mir klar, glaubte er auf seine fatalistische Weise, ich hätte schon die Flinte ins Korn geschmissen, aber zum anderen war er über das Ausmaß des Schmerzes, den ich mir letztendlich selbst zufüge, zutiefst betroffen.
Da er ein Mann ist, der unglaublich viel in sich hineinstopfen kann ohne auch nur ein Kilo zuzunehmen und der erst recht nicht damit aufhören darf, da er sonst noch viel dünner würde, fehlt ihm definitiv das Know-how, um mit solch einer Situation umzugehen.
Selbst die 16 gemeinsamen Jahre, in denen dieses Problem mal mehr mal weniger immer vorhanden war, reichten nicht aus, um eine tiefere Ebene des Verstehens zu erreichen.


Die Idee jedoch, sich mit dem Partner gemeinsam auseinander zu setzen, ihn über so einen Text in die Problematik einzubeziehen, finden wir beide einleuchtend.
Schon Claudi sagte, das es Janne seit der Lektüre leichter fällt, so manches ihrer Argumente anzuerkennen und sei es auch nur, weil er feststellen muss, das sie nicht die einzige ist, die so empfindet.
Das Leid teilen und hin und wieder Mitgefühl ernten von einer Seite, die im allgemeinen verständnislos mit dem Kopf schüttelt und sich nur zu Sätzen wie: „Dann mach halt endlich was dagegen!“ durchringen kann, wenn man zweifelnd vor dem Spiegel steht, ist ein schöner Gedanke.

So gesehen ist vielleicht geteiltes Leid nicht automatisch halbes Leid, aber es ist leichter, wenn auch nicht an Kilos so doch zumindest im Miteinander.
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Thursday, January 05, 2006

Start up

Das Jahr 2005 liegt seit fünf Tagen hinter uns und ich mochte mich lange nicht mehr so wenig wie dieser Tage.

Vermutlich liegt es an all den Fotos, die in jenem Jahr, aber vor allem im Dezember gemacht worden sind. Ich habe neue Freunde, die nichts schöner finden, als „familiäre“ Zusammentreffen zu jeder Zeit zu dokumentieren.

Schaffte ich zu Beginn noch, unterzutauchen sobald eine Linse in meinen Bereich eindrang, gab ich es nach oft wiederholten Kommentaren a la „Was ist dein Problem?“ und entsprechenden Stöhnern auf. Ich versuchte zu ignorieren, das selbst die unpassendsten Winkel nicht ausgelassen wurden.

Dieser Tage nun konnte ich die Tatsachen nicht mehr von der Hand weisen. Die Fotos für einen Jahresrückblick gesichtet, ließen mich mit einer Mischung aus Verzweiflung, großer Trauer, Bedauern und Ekel auf meinem Schreibtischstuhl zusammensacken.

Ich hatte ja keine Ahnung.

In euren Augen mag dieser Satz lächerlich erscheinen und doch kann ich aus der Tiefe meiner Seele sagen, das mein Bild von mir ein anderes war.
Natürlich ist und war mir klar, das ich alles andere als schlank bin, doch vom optisch realen Ausmaß habe ich mir keinen Begriff gemacht. Nicht umsonst schlug ich mit Hüfte und Hintern immer wieder an irgendwelchen Kanten an.
Mein inneres und mein äußeres Ich sind nicht identisch. Im Kopf ist mir klar, das ich deutlich über 110 kg (mein letztes Ergebnis auf der Waage ca. 2003) wiege. Meine Hosen beweisen mir das immer wieder und trotzdem bin ich nicht in der Lage, das in komplette physische Präsenz umzudenken.
Genau das macht es mir aber so einfach, mir weiterhin Süßigkeiten und Fast Food zu „gönnen“. Das Problem jedoch ist, das, sobald ich nun dort auf dem Stuhl saß wie ein großer Haufen Elend (im Geiste war ich natürlich ein Häufchen), der Fressimpuls einsetzte.
Der Wunsch, unbedingt etwas in meinen Mund zu stecken, zu kauen und den möglichst süßen Geschmack auf meiner Zunge zergehen zu lassen. (Und lasst es euch gesagt sein, Karotten und Äpfel können dieses Glücksgefühl nicht erzeugen!) Das Muster durchschauend, aber nicht durchbrechend aß ich vom bunten Teller, der praktischerweise direkt auf dem Tisch vor dem Sofa seinen Platz hat, so dass das Maß an Bewegung aufs optimale reduziert wird, wenn man vor dem Fernseher oder dem PC sitzt und mochte mich noch ein bisschen weniger.

So sehr mein Körper mein Sein bestimmt, ein Spiegel meiner Art zu leben ist, so sehr wünsche ich mir, das es anders ist. Das Körper und Geist eins werden, mein Wunsch nach Bewegung und Veränderung sich auf meinen Körper überträgt und ich die Kraft bekomme, dieses harte Stück Arbeit auf mich zu nehmen, um mich mit mir selbst zu versöhnen, zu vereinen.

In diesem Blog werde ich reflektieren, versuchen zu verstehen, einfach nur erzählen oder schimpfen. Doch versprechen werde ich mir nichts. Zu oft habe ich mich schon enttäuscht und mit jeden gebrochenen Versprechen kamen zu den vielen Kilos noch ein paar mehr dazu.
Zumindest der Ist-Zustand soll gewahrt bleiben, denn nach oben ist alles offen und dorthin ist es ausnahmsweise einmal soviel einfacher als nach unten.
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